Es gibt Leute, die behaupten, das „M“ im Namen der BMW M GmbH stehe für Motorsport.
Andere wiederum sagen, das sei falsch, „M“ stehe für „Marketing“.
Die Wahrheit jedoch lautet: „M“ steht für „Monster“.
Und ein solches Monster steht gerade vor meiner Tür. Ich habe einen Heidenrespekt vor dem Ding. Und ich mache mir Sorgen. Zwar ist der Wagen vollkaskoversichert, aber die Selbstbeteiligung ist mit 2500€ gigantisch hoch.
Allein die Mattlackierung mit dem schönen Namen „frozen silver metallic“ kostet 3,800€ Aufpreis. Dazu kommen gigantische hochglänzende 20’ Räder, hinter denen goldene Bremssätteln schimmern, ein Hinweis auf die M Carbon-Keramik-Bremse, die mit schlappen 8,800€ in der Aufpreisliste steht.
Ja, dieser Wagen löst mir Respekt ein. Ich war sehr dankbar für die ausführliche Einweisung des Händlers, bin mit dem Ding bislang aber trotzdem nur die 10km von B&K bis nach Hause gefahren und habe fürs abendliche Ausgehen lieber mein eigenes Auto gewählt.
Deutlich weniger Respekt hat die sechsjährige Sarah von nebenan, die vollkommen unbeeindruckt munter auf ihrem Plastiktrecker um die parkenden Autos herumkurvt.
Dabei schaut der M6 alles andere als freundlich aus. Gut, Autos von BMW schauen immer ein wenig böse aus. Aber während der alte 7er der Baureihe noch den unverbindlichen Charme eines Mafiapaten ausstrahlte und der E65 mit den Theo-Weigel-Gedächtnis-Augenbrauen den Politiker miemte, so schaut das M6 Gran Coupé in etwa so freundlich drein wie Darth Vader mit gezücktem Laserschwert – eine brutale tödliche Kampfmaschine ohne jegliche Skrupel.
Ob man damit Brötchen holen kann?
Kurzerhand nehme ich meinen Mut zusammen, greif mir den Schlüssel von der Kommode und steige in den M6.
Das Interieur mit den schwarzen Volllederausstattung und den futuristischen blauen Anzeigen erinnert spontan an Filme wie „Minority Report“. Normalerweise bin ich immer unglücklich, wenn ich in einem neuen BMW sitze, aber dieses Exemplar ist etwas Besonderes: Der M-Sportsitz sitzt wie angegossen und lässt sich vielfach verstellen, insbesondere die Einstellung der Seitenwangen in Schulterhöhe find ich super. Das M-Lenkrad hat einen Kranz, dessen Breite mit dem Oberarmen von Arnold Schwarzenegger konkurriert. Ansonsten ist es jedoch dermaßen schlank konstruiert, wie man es nur aus Zeiten vor der Erfindung des Airbags kennt. Mein Blick fällt auf schöne analoge Instrumente und geheimnisvoll glitzernde Karboneinlagen.
Das Dach ist mit einem Leder/Alcantara Himmel bezogen und wirkt sehr wertig – kein Vergleich zu dem, was einem sonst von BMW zugemutet wird. Interessanterweise gibt es keine Haltegriffe – und auch ein Schiebedach ist nicht vorgesehen, weil hier aus Gewichtsgründen teures Karbon verbaut wurde.
Das Platzangebot empfinde ich persönlich als großzügig, insbesondere meine Knie haben mehr als ausreichend Platz, ohne wie im F10 gegen irgendwelche Kanten zu stoßen. Man sitzt sehr tief im M6, tiefer noch als im Porsche. Die Mittelkonsole ist extrem breit, aber geschmackvoll arrangiert. Auch die asymmetrische fahrerorientierte Gestaltung signalisiert die Besonderheit der 6er Baureihe – eine Verwechslungsgefahr mit kleineren Baureihen ist ausgeschlossen.
Sogar auf den Rücksitzen kann ich mit meinen 1,81m bequem sitzen. Der Beinraum ist vielleicht ein wenig kurz geraten (ist schließlich keine S-Klasse in Langversion), aber trotzdem mehr als ausreichend. Die Fondklimaanlage ist ein wenig ausladend, zur Not kommt eine fünfte Person unter, die ihre Beine jedoch links und rechts positionieren muss (und – sofern männlich – die Familienjuwelen wahlweise kühlen oder kochen kann).
Weil der M6 statt eines Automatikgetriebes ein Doppelkupplungsgetriebe hat, wurde statt des üblichen phallischen Wählhebels ein deutlich griffigerer M-Knubbel installiert. Die Konfiguration ist ungewohnt, der Rückwärtsgang sitzt oben Links. Eine P-Stellung gibt es nicht, stattdessen möchte das Auto in „D“ geparkt werden und zieht dann anschließend automatisch die Parkbremse an.
Mit einem Druck auf den Startknopf erwacht das Monster zum Leben. Während der alte BMW V12 nach einem kurzen Aufbrüllen in einen ruhigen Leerlauf verfiel und ein sportlicher Jaguar wie ein zufriedener Puma schnurrt, so brummt der im M6 verbaute 560PS 4,4l Achtzylinder den Fahrer mit dem freundlichen Zahnpastalächeln eines wütenden Pitbulls an.
Vorsichtig trete ich das Gaspedal und manövriere den M6 aus der Parkbucht. Langsam trottet das Monster durchs Wohngebiet und lässt sich erstaunlich friedlich an der Leine führen. Die Lenkung ist leichtgängig, das Getriebe sanft, die Federung akzeptabel und die Übersicht – bescheiden. Dort, wo normalerweise die Frontscheibe verbaut ist, ist im 6er BMW ein überdimensionierter Rückspiegel im Wege, der das Format der Heckscheibe deutlich überragt. Möchte man nach vorne sehen, so muss der Fahrer mühsam rechts oder links an dem Spiegel vorbei schauen. Im Spiegel selbst sieht man den Dachhimmel, die Kopfstützen der Rücksitze und einen schmalen Streifen. Eigentlich ist er vollkommen überflüssig, denn wie oft kommt es vor, dass hinter einem M6 ein Dacia mit Statussymptomen und Lichthupe drängelt?
Ich bin dankbar für die Kameras, mit deren Hilfe man den Tarnkappenbomber präzise an Zäunen, Kindern und hohen Bordsteinen vorbei manövrieren kann. Gut für das Punktekonto sind auch die zahlreichen Geschwindigkeitsanzeigen: es gibt eine Anzeige im (serienmäßigen) HUD, eine weitere große Digitalanzeige im Tacho und ein analoger Tacho.
Hurra, ich habs geschafft! Ich bin den Gefahren des Wohngebietes entronnen und auf der Hauptstraße gelandet. Und nun stehe ich an der Ampel und entdecke zwei interessant aussehende Knöpfe: M1 und M2. Drücke ich auf „M1“, so schaut die eben noch friedfertige HUD-Anzeige plötzlich aus wie die eines Kampfjets. Zeigten die blauen Anzeigen unter dem Drehzahlmesser eben noch „Comfort“ an, so stehen die Zeichen nun auf „Sport Plus“. Auch die Ganganzeige hat von „D“ auf „1“ gewechselt.
Die Ampel wird grün, ich trete aufs Gas und das Monster schießt mit einem ohrenbetäubenden Donnern voran. Mit zitternden Händen stehe ich an der nächsten Ampel und denke „o weia“. Das Monster hat sich derweil schlafen gelegt, als ob es beleidigt wäre.
Aber es schläft keineswegs, es lauert vor mir unter der Haube, bereit, jederzeit zur Attacke überzugehen.
Mit einem unguten Gefühl im Bauch wähle ich die Taste „M2“. Aber statt die Klingen des Brutus weiter zu schärfen, stehen alle Anzeigen wieder auf „Komfort“.
Man kann Mr. Hyde also einfach wieder ausschalten und in Dr. Jekyll verwandeln. Erleichtert rolle ich weiter Richtung Edeka, alles ganz piano – soweit man im M6 von „piano“ sprechen kann.
Bis ich zu einer Unterführung komme. Unterführungen haben für mich eine magische Anziehungskraft, sie verleiten mich dazu, Unsinn zu treiben. Diese hier ist nicht anders: ich mache das Fenster auf, aktiviere Mr. Hyde und trete das Gaspedal bis ans Bodenblech.
„Bumm!“
Von einem Aufheulen des Motors zu sprechen wäre eine unverzeihliche Untertreibung. Der M6 explodiert förmlich, innerhalb einer Sekunde ist der Tunnel passiert und der Spuk vorbei. Als wäre nichts gewesen trottet Dr. Jekyll Richtung Supermarkt, während mein Puls noch auf 180 ist. Ich suche mir einen Parkplatz im Königreich „Weit Weit Weg“, unternehme einen längeren Spaziergang zum Bäcker und wundere mich anschließend, wie klein doch der Kofferraum ist. Immerhin, er ist größer als beim Jaguar F-Type und die Brötchentüte passt rein.
Auf dem Rückweg koppele ich das Bluetooth mit meinem iPhone, lege die „Rage Against The Machine“ Playlist auf und genieße den kräftigen Sound aus der 1200 Watt Bang & Olufson Stereo Anlage, der nicht nur die Sitze, sondern vermutlich auch die halbe Umgebung vibrieren lässt. Die Anlage sieht wirklich sehr schick aus und ist selbstverständlich besser als das 320 Watt Alpine System von Jaguar, aber nicht soviel besser, dass es 5000€ Aufpreis wert wäre.
Beim Navigieren auf Parkplätzen und Wohngebieten lerne ich das Surround-View Kamerasystem sehr zu schätzen, mit der man präzise um hohe Bordsteine zirkeln kann, ohne die teuren Alufelgen unnötigen Gefahren auszusetzen.
Wohin fahren wir nach dem Frühstück?
Wie wäre es mit einer Fahrt zum Media Markt Parkhaus zwecks Fotoshooting?
Ich lade meine Kameraausrüstung in das flache Auto mit seiner gespaltenen Persönlichkeit. Durchs Wohngebiet wird fleißig geschlichen, aber sobald die Tempo 30 Zone hinter uns liegt lass ich Mr. Hyde aus seinem Käfig und trete das Gaspedal bis ans Bodenblech: das Ufo schüttelt sich ein wenig und schießt mit Warp-Speed und lautem Gebrüll voran!
Ich werde brutal in meinen Sitz gedrückt und fühle mich, als säße ich auf einem Pferd, welches gerade im Stall mit funkensprühenden Hufen durchgeht. Als ich mich von meinem Schrecken erholt habe, stelle ich entsetzt fest, dass der Tacho bereits die 180 km/h Marke überschritten hat und eilig auf die 200 zustürmt. Noch schneller fliegt ein Tempo 70 Schild auf mich zu und mir bleibt nichts anderes übrig, als dem kleinen Bremspedal einen kräftigen Tritt zu verpassen. Wie Schiffsanker verzögern die goldenen Keramikbremsen das 2-Tonnen-Monster und bringen uns zurück auf eine „vernünftige“ Geschwindigkeit, die aber immer noch rund 30 km/h über dem liegt, was die Polizei erlaubt.
Auf dem Südschnellweg Richtung Hildesheimer Straße lasse ich das führerscheinfressende Monster noch einige Male von der Leine, achte aber sehr darauf, maximal 40 km/h überm Limit zu bleiben. Es gelingt mir leidlich. Sobald das Gefühl der Beschleunigung verinnerlich hat, muss man schon wieder Bremsen, und zwar bevor sich die Mundwinkel zu einem Grinsen verziehen können. Der M6 ist ein Auto für Masochisten: damit zu fahren ist wie richtig guter Sex mit einer richtig tollen Frau, nur dass man jedes Mal kurz vorm Orgasmus von der Schlagbohrmaschine des Nachbarn unterbrochen wird.
Was bleibt, ist das schlechte Gewissen und die Sorge, ob sich nicht doch irgendwo ein Blitzer hinter den Büschen versteckt und sein Zielfernrohr auf das silberne Geschoss gerichtet hat.
Ich schalte den Tempomaten auf 110 km/h ein lege zur Beruhigung die „Böhse Onkelz“ Playlist auf.
Und knall fast gegen einen Lastwagen! Ist es möglich, dass dieses Super-Duper-High-Tech-Geschoss keinen Abstandstempomaten hat? Tatsächlich: die Anzeige, die ich für ein Abstandsradar gehalten habe, ist tatsächlich der dezent im Hintergrund arbeitende Spurhalteassistent.
Das hätte ich ehrlich nicht erwartet – so ein modernes Auto hat gefälligst selber zu bremsen!
Beim Media Markt mache ich einige Bilder, erledige meine Einkäufe und beschließe, auf dem Rückweg eine Verbrauchsrunde einzulegen: von Edeka über den Schnellweg und die Landstraße nach Hause. Zwischendurch röhrt hinter mir ein Audi RS5 in Spiellaune, aber nein, ich lass ihn ziehen. Das Ergebnis meiner Zurückhaltung: statt der sonst üblichen 20l zeigt der Bordcomputer einen Durchschnittsverbrauch von 10,8l an. Dieser Wert bewegt sich im üblichen Rahmen.
Zuhause lasse ich den M6 erst einmal frustriert stehen. Das Auto ist eine riesige Verschwendung. Nicht an Ressourcen, sondern an Auto. Es gibt offenbar keine geeigneten Straßen, auf denen man das Potential dieses Monsters freien Lauf lassen kann. Im normalen Verkehr kann man vielleicht 10% der Leistung überhaupt nutzen. Wenn er wenigstens wie ein Ferrari einen rotzigen Sound hätte, aber nein, bei geringen Drehzahlen hört sich der Motor so brav und kultiviert an wie der eines Audi A8 4.2.
Für die Stadt ist der M6 er zu unübersichtlich, für Landstraßen hingegen zu groß und zu schnell. Da macht ein Smart Roadster deutlich mehr Laune, weil man mit dem beherzt Gas geben darf und durch die kleine Karosserie mehr Platz zum austoben hat.
Unsere Top-Gear-Challenge für den nächsten Tag: „Finde eine Straße, auf der das BMW M6 Gran Coupé Sinn macht.“
Unser erster Gedanke ist, einen Ausflug an die Ostsee zu machen. Aber bei 14° und Sturm und Regen ergibt das nicht wirklich einen Sinn. Der Elbtunnel ist zwar reizvoll genau wie die A7 südlich von Hamburg, aber nördlich von Hamburg sind die Autobahnen dicht befahren und staugeplagt.
Wir beschließen trotzdem, Richtung Norden zu fahren, vielleicht in die Lüneburger Heide. Der Picknickkorb passt problemlos in der Kofferraum, ich lasse Mr. Hyde aus seinem Käfig und fahre auf die A7 – direkt in den nächsten Stau! Zwar löst sich das Verkehrsknäuel ein wenig, aber trotzdem ist die Autobahn viel zu dicht für den M6, zumal das Überholprestige zu wünschen übrig lässt. Viele halten das 560 PS Geschoss für einen 520d und machen nur widerwillig Platz. Insbesondere ein Audi A3 versperrt auf besonders penetrante Art und Weise mit 130 bis 170 km/h die linke Spur. Selbst als beide Spuren neben ihm frei sind bleibt er stur auf der Überholspur. Mir reißt der Geduldsfaden, ich setze den Blinker rechts und ziehe wie ein geölter Blitz auf der Lastwagenspur an dem Kleinwagen vorbei – sehr darauf achtend, dabei niemandem zu gefährden.
Der Audi ist schnell im Rückspiegel verschwunden, das HUD zeigt kurzfristig die 280 km/h an. Einige Golf und Passat machen bereitwillig Platz – doch dann sind wir wieder mitten im dichten Kolonnenverkehr. Gut, dass ich mich darauf verlassen kann, dass die gerade magischen Keramikbremsen das Monster jederzeit in seine Schranken verweisen können. Es gibt kein Eintauchen, kein Fading, die Bremsen sind ihr Geld definitiv wert.
Der M6 ist dermaßen gut zu beherrschen, dass man ihn quasi jederzeit in jede beliebige Lücke beamen kann. Nur Wurmlöcher kann er wohl leider nicht aufspüren. Kurz vor Walsrode zeigen Blinklichter einen Stau an. Ich fahre rechtzeitig hinaus auf die Umleitung – und lande prompt im nächsten Stau!
Das macht echt keinen Spaß! Wir beschließen, dem Norden den Rücken zu kehren und stattdessen unser Glück Richtung Süden zu suchen, in der Hoffnung, eine Mr. Hyde kompatible Straße zu finden. Der Verkehr in diese Richtung ist ein wenig überschaubarer, aber immer noch recht belebt.
Wir finden für das Monster ein dankbares Opfer in Form eines weißen Opel Insignia OPC mit immerhin 325 PS. Dessen Fahrer schafft es tatsächlich, seine Rentnerschaukel auf knapp 240 km/h zu beschleunigen, aber er ist uns trotzdem im Wege – der M6 schafft die gleiche Übung mit Halbgas.
„Bitte bitte, lieber Opel, lass uns doch ganz kurz vorbeihuschen!“
Kurz vor Hildesheim ist der Fahrer dann wohl endlich zu der Überzeugung angelangt, dass wir lästig wie eine Schmeißfliege am Heck kleben bleiben, egal wie schnell er auch fahren mag, und lässt uns vorbei. Mit lautem Gebrüll schießt Mr. Hyde vorbei und verbannt die Überzeugung des OPC Piloten, ein wirklich schnelles Auto zu fahren, ins Reich der Illusionen. Ich bin beeindruckt, wie rasend schnell der 560 PS Biturbo den 2 Tonnen schweren M6 selbst jenseits der 250 km/h Marke nach vorne katapultiert, so dass man den Ziffern im HUD kaum folgen kann.
Der freie Auslauf von Mr. Hyde nimmt schon kurz nach Hildesheim sein Ende: wir geraten in den nächsten Stau – wegen einer Baustelle. Resignierend widmen wir uns der B&O Anlage. Meine Anna ist von dem System absolut begeistert und genießt das mächtige Konzert. Wir hören Playlists von Metallica und Nightwish in voller Lautstärke und finden auch genügend Zeit, das elegante silberne Jaguar Cabriolet auf der Nebenspur gebührend zu bewundern.
An der nächsten Ausfahrt verlassen wir die Autobahn und füttern das Monster mit kurvigen Landstraßen. Kaum zu glauben: auch hier ist das M6 Gran Coupé in seinem Element. Dank des aktiven M-Differentials, welches die Kraft in Kurven optimal verteilt, dreht sich Mr. Hyde fast wie ein Panzer mit Kettenantrieb um die Ecken und erreicht dabei eine geradezu aberwitzige Kurvengeschwindigkeit. Um Mr. Hyde uneingeschränkt walten zu lassen, hat Dr. Jekyll vorsichtshalber das Wort „Seitenneigung“ aus dem Vokabular des M6 gestrichen: das große Coupé neigt sich nicht zur Seite, sondern umzirkelt die Kurven wie auf Schienen.
Kommt dieses Monster jemals an seine Grenzen?
In Königskrug machen wir Rast und vertilgen einen der berühmten Riesenwindbeutel, während das silberne Geschoss auf dem Parkplatz wartet. Ab und zu erregt es die Aufmerksamkeit anderer Gäste. Man hört sie leise raunen: „Ist das der neue BMW M6? Man munkelt, er habe fast 600 PS!“
Nach dem Essen tanken wir 60l Super und wenden uns Richtung Osten. Dort, so sagt man, gäbe es lange leere Bahnen, die dem BMW Monster in etwa so gut munden würden wie Kellogs Cornflakes der kleinen Sarah. Einige Radarfallen müssen wir austricksen, dann befinden wir uns tatsächlich auf einer langen zweispurigen Schnellstraße ohne Tempolimit. Nur ab und zu sind Autos auf der rechten Spur. Für das Monstrum ist diese Straße ein gefundenes Fressen: Mit Warp-Speed vertilgt der M6 Kilometer um Kilometer, der Tacho pendelt dabei zwischen 230 und 290 km/h.
Es kommt einem geradezu surreal vor: der M6 ist dermaßen schnell, dass alle anderen Auto wie stehende Hindernisse wirken. Noch unwirklicher erscheint die Kontrollierbarkeit dieses Geschosses. Es ist jederzeit möglich, zu stoppen oder die Richtung zu ändern. In keinem anderen Auto habe ich jemals dermaßen sicher gefühlt wie im M6 Gran Coupé. Der Porsche Boxster ist schon unheimlich beherrschbar, aber das Fahren damit ist harte Arbeit. Der M6 hingegen macht es dem Fahrer leicht: er fährt 290, als ob es nichts wäre – und ist dabei überraschend leise und bequem. Erst ab 270 treten größere Windgeräusche auf, so dass man die Stimme ein klein wenig heben muss, um sich zu unterhalten.
Tempo 300 jedoch erreichen wir auf dieser Straße nicht, dazu gibt es doch zu viele Kuppen und Senken, an denen man nicht weit genug vorrausschauen kann.
Wir machen kehrt und fahren Richtung Goslar. In der Altstadt suchen wir uns einen Parkplatz, unternehmen einen längeren Spaziergang und essen zu Abend. Inzwischen ist es dunkel geworden. Weil der Akku meines iPhones leer ist und ich damit keine Navigation habe, dauert es ein wenig länger, bis wir das Auto wieder finden. Unversehrt steht es geduldig wartend auf dem Edeka Parkplatz, auf dem ich es verlassen habe.
In der Dunkelheit weist uns das hervorragende LED Licht den Weg. Die Straße wird jederzeit perfekt ausgeleuchtet, die Qualität ist noch einmal eine Stufe besser als das ohnehin schon gute Bi-Xenon Licht. Sehr beeindruckend arbeitet auch der automatische Fernlichtassistent.
Dann endlich sind wir auf der A7. Sie ist leer. Ich schalte den M1-Modus ein und trete das Gaspedal durch. Der Motor heult auf, die Ziffern des HUDs rasen an mir vorbei – 270 – 280 – 290 – 297 – 301. Dann muss ich vom Gas gehen, weil einige andere Autos in Sicht sind. „Wusch-wusch-wusch“ Ein Audi A6 kommt anfangs nur langsam näher, während unser M6 munter beschleunigt. Ich schätze seine Geschwindigkeit auf 250 km/h, als wir vorbeifahren steht der Tacho auf 280. Der Audi verschwindet – 290 – 296 – 299 – 302 -307 – 310.
Mit Tempo 310 durch die Nacht zu rasen ist ein nahezu episches Erlebnis. Es gehört zu den Dingen, die man als Autofahrer unbedingt einmal gemacht haben muss. Viel zu schnell sind wir wieder zuhause. Mit knisterndem Motor stelle ich Dr. Jekyll und Mr. Hyde neben meinem Jaguar ab.
Und nun?
Mit dem M6 haben wir eigentlich alles gemacht, was man nur machen konnte. Wir waren in der Stadt, in den Bergen, auf der Autobahn und im Stau. Wir sind bei Tag und bei Nacht gefahren. Der Verbrauch lag knapp über 18l auf 100km – angesichts der absolut überirdischen Fahrleistungen bei diversen Vollgasorgien finde ich das absolut akzeptabel.
Dank der ausgefeilten Elektronik und der inzwischen recht gut funktionierenden Kamerasysteme kann man auch im Alltag gut mit dem Monstrum mit der gespaltenen Persönlichkeit klarkommen. Natürlich gibt es ein paar Dinge, die man verbessern könnte: beispielsweise wird das ACC schmerzlich vermisst. Allradantrieb wäre auch eine Idee, um die Kraft auch bei widrigen Bedingungen auf die Straße zu bringen.
Ansonsten ist der BMW M6 das mit Abstand beste Auto, das ich je gefahren bin. Unendlich viel Speed, geniales Handlung bei gutem Komfort und akzeptablem Verbrauch.
Der einzige Wehmutstropfen, der bleibt, ist die Tatsache, dass man die Talente dieses Fahrzeug praktisch nie wirklich nutzen kann. Die Unvollkommenheit dieser Welt mindert aber nicht die Faszination, die von dem M6 Gran Coupé ausgeht. Es ist episch. In jeder Hinsicht.
Wenn Gott persönlich ein Auto geschaffen hätte, dann dieses.
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