„Mein Gott, ich muss doch vollkommen bekloppt sein!“
Nicht zu ersten Mal an diesem Tage geht mir der Gedanke durch den Kopf. Ich befinde mich irgendwo auf einer Autobahn nördlich von Nürnberg. Wo genau, tut nichts zur Sache. Viel wesentlicher ist die Frage, in was für einem Auto ich sitze.
Ich sitze in einem Jaguar. Nein, es handelt sich nicht um irgendeinen Jaguar, den ich zufällig gerade Probe fahre. So etwas kommt ja schließlich öfter mal vor. Nein, nein, es handelt sich vielmehr um MEINEN Jaguar. Ich habe ihn gekauft, und das vor gerade mal einer halben Stunde.
Im Moment bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht einen schrecklichen Fehler begangen habe. Ich meine, ich habe ein dickes Bündel Geldscheine gegen ein 10 Jahre altes Auto mit fast 240,000km auf dem Tacho getauscht.
Und dann auch noch einen Jaguar! Wenn es wenigstens ein Mercedes wäre….wie blöde kann man nur sein!
Zumindest handelt es sich um einen besonders hübschen Jaguar der Baureihe XJ 350 – richtig, das ist der mit der Aluminiumkarosserie, der aber prinzipiell genauso aussieht, wie der 1985er Jaguar XJ12 Sovereign meines Großvaters. Nur dass selbiger braun war. Mein Jaguar ist grün, jawohl, wie es sich für einen richtigen Jaguar gehört. British-Racing-Green, selbstverständlich.
Gibt es noch ein anderes Grün?
Nicht für britische Autos. Innen hat die Katze eine feine Lederausstattung in der Sonderfarbe ‚Ivory’ mit dunklen Kedern in „Warm Charcoral“. Das hellbeige Leder bildet einen wunderbaren Kontrast zum dunklen Lack. Zugegeben, ein wenig Lederpflege hätte der Innenraum dringend nötig, aber ansonsten ist das empfindliche Material überraschend gut erhalten – und das, obwohl es sich um einen Jaguar handelt.
Holz und Leder, das können die Briten. Das Lenkrad in meinen Händen ist natürlich ebenfalls aus feinstem Nussbaumwurzelholz, die Airbagabdeckung ist mit dunklem Leder bezogen, der Growler grinst mir zähnefletschend entgegen. Es liegt wunderbar in der Hand und hat sogar eingearbeitete Auflagen für die Daumen. Weich und geschmeidig lässt es sich bewegen – wohin ich es auch drehe, die Katze folgt der mit einer unheimlichen Geschmeidigkeit, wie es eben nur ein Jaguar zu tun vermag.
Auch das Armaturenbrett ist großflächig mit Holz verkleidet. Der Dachhimmel ist in feinstem Velours gekleidet, und auch die dunklen Teppiche sehen wie neu aus.
Oberhalb des Wählhebels – übrigens eine besonders edel wirkende Skulptur aus Holz und Chrom – befindet sich ein großer Farbmonitor mit Touchscreen, eingebettet in einen Rahmen aus Klavierlack. Zusammen mit zwei weiteren Monitoren, die sich in den Kopfstützen befinden, ist er das einzige Indiz, dass es sich nicht um Opas Jaguar, sondern um ein Modell aus der Neuzeit handelt.
Trotz – oder wegen (?) – all dem Luxus bleibt ein ungutes Gefühl. Wie dichtete der Volksmund doch einst: „Lieber Gott, schütze mich vor Sturm und Wind und Autos, die aus England sind!“
Warum habe ich bloß einen Jaguar gekauft? Und dann auch noch von privat – ohne jegliche Garantie! Ich muss total…aber lassen wir das.
Eigentlich gibt es nichts, vor dem ich mich fürchten müsste. Leise schnurrt der V8-Motor, gelassen zieht die Katze ihre Bahnen durch den dichten Feierabendverkehr. Eigentlich handelt es sich um eine ungeheuer entspannende Form der Fortbewegung. Eigentlich.
Aber Moment – war da nicht ein Knistern? Ach, es rührt von den Tüten, in denen die Winterräder verpackt sind, die im Fond liegen. Der Vorbesitzer hat sie mir freundlicherweise überlassen, und nun dürfen sie feudal auf einer elektrisch verstellbaren Rückwand durch die Republik reisen.
Klug ist die Katze außerdem: ich kann mit ihr sprechen. Und manchmal versteht sie mich sogar und liest mir beispielsweise sämtliche Befehle zur Bedienung des Navigationssystems vor. Und wenn ich einmal den Blick von der Straße abwende, so bremst sie sogar für mich – sofern ich vorher den Tempomaten mit Abstandsradar eingeschaltet habe.
Trotzdem werde ich mit dem Jaguar noch nicht so ganz warm. Ob ich nicht doch einen Fehler gemacht habe? Hätte ich nicht doch lieber den alten BMW 750i sanieren sollen? Er rostet zwar praktisch überall und hat überdies einen schweren Hagelschaden, aber er war doch so ein schönes Auto.
Die Katze ist mir immer noch fremd. Ein weiterer Spruch fällt mir ein: „Wenn Du Jaguar fahren willst, kauf Dir am besten gleich zwei: einen für die Werkstatt, einen zum fahren“
Mein Gott ich bin doch vollkommen bescheuert!
Fast schon wütend über meine Dummheit, einen Jaguar gekauft zu haben, trete ich das Gaspedal durch. Schließlich ist die Bahn frei und das Tempolimit wurde schon vor 20 Kilometern aufgehoben.
Die 6-Gang Automatik schaltet einige Gänge zurück, der 4,2l V8 mit Kompressor heult auf und lässt seinen 395 britischen Vollbluthengsten freien Lauf.
Die große Limousine schießt wie ein wilder Gepard voran – 210, 220, 230, 240…diese Geschwindigkeiten sind mir wohl vertraut, aber der leichte Jaguar erreicht sie viel schneller als mein alter BMW. Viel wichtiger jedoch ist: im Gegensatz zum E38 ist der Super V8 bei diesen hohen Geschwindigkeiten wunderbar zu beherrschen. Die komfortversprechenden Sitze mit den harten Kopfstützen bieten einen wunderbaren Seitenhalt – kein Vergleich zu den durchgesessenen Komfortsitzen im alten 7er, auf denen mein Allerwertester immer mühsam nach Halt suchen musste.
Je schneller es vorangeht, umso wohler fühlt sich die Katze. Wir zischen durch die Kurven, dass es eine Wonne ist, fast wie im Porsche, nur mit viel weniger Arbeitsaufwand. Einen schwarzen 5er BMW nach dem anderen nehmen wir ins Visier, jagen ihn und lassen ihn rechts liegen.
Das Überholprestige ist enorm: sobald die mächtige Raubkatze im Spiegel erscheint haben es sie meisten Fahrer sehr eilig, ihre Gefährte zurück auf die rechte Spur zu bringen. Mit lautem Kompressorgebrüll dürfen wir passieren – nicht jedoch die schwarzen BMW, die mühsam versuchen, uns zu folgen. Denen fahren LKW brutal vor die Plauze, die dem grünen Jaguar gerade noch bereitwillig Platz gemacht haben.
Ja, es hat durchaus seine Vorteile, mit einem exotischen Auto unterwegs zu sein.
Würzburg ist inzwischen vorbei, die Autobahn wird kurviger. Alle Spuren sind frei, nur vor uns auf der mittleren Spur befindet sich ein neuer 5er. Der Abstand wird kleiner, der Touring, der ausschaut wie ein Dienstwagen der ‚Men in Black’ kommt langsam näher und mit rund 230 km/h rasen wir im Formationsflug durch die Kurven. Das Fahrwerk wird gut gefordert, die Katze legt sich ein wenig zur Seite, ist der anspruchsvollen Aufgabe aber gut gewachsen. Doch was ist das? Plötzlich sehe ich rote Bremslichter vor meiner Nase: ohne erkennbaren Grund stieg der Fahrer des 5ers in die Eisen. War ihm die Kurve etwa zu eng geworden?
Auch der Jaguar wird für einen winzigen Moment aus dem Konzept geworfen, ich bremse vorsichtig – was in der Kurve allgemein eine eher blöde Idee ist – und positioniere mich fürs erste hinter dem BMW. Was für ein Schrecken!
Trotzdem wächst meine Sympathie für die mir immer noch fremde Katze: Wir haben quasi unser erstes Abenteuer bestanden, so etwas verbindet. Mein alter 750er BMW hätte die Kurve wohl höchstens mit 180 und dann auch nur unter Protest genommen.
In den Kassler Bergen lassen wir es ein wenig ruhiger angehen lassen. Schließlich gibt es hier böse Radarfallen und Lastwagen, die mit Tempo 40 den Berg hinaufschleichen. Das Abstandsradar ist sehr angenehm, weil es auch dann die Geschwindigkeit konstant hält, wenn es bergab geht. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass der Jaguar lieber Rennen mag – unter dem eleganten Abendkleid befindet sich schließlich eine reinrassige Rennkatze, die sich nicht allzusehr vom Supersportwagen XKR unterscheidet. Deswegen gewähre ich ihr hin und wieder ein wenig Auslauf, lasse den Kompressor ein wenig Luft schaufeln, genieße das wunderbare Gefühl der Beschleunigung, scheuch sie um die Kurven und wundere mich immer wieder, wie viele Autos uns respektvoll den Weg frei machen.
Ich habe also einen Jaguar gekauft, und wenn sich das Auto als furchtbare Diva entpuppen sollte, so ist es wenigstens eine athletische Diva.
Fast bin ich zuhause. Ich biege an der Anschlussstelle Hannover Anderten von der A7 Richtung Peine ab, cruise durch die Ortschaft Ilten, durchfahre eine niedliche kleine Landstraße mit sanften Kurven, biege in unser Viertel ein und parke direkt vor meiner Tür. Ich stelle den den Wählhebel auf die Parkposition, dann mache ich den Motor aus und steige aus.
Zufrieden betrachte ich die elegante Karosse: Wir sind nicht liegen geblieben. Es sind keine Teile abgefallen. Das Display zeigte nicht eine Fehlermeldung. Der Motor brummte, die Bremsen bremsten, die Leuchten leuchteten und die Klimaanlage kli…nun ja, sie produzierte kalte Luft, also genau das, was man nun einmal von einer Klimaanlage erwartet, nicht wahr?
Ich habe einen Jaguar gekauft, und er hat mich sicher und komfortabel nach Hause gebracht. Es wird sicher ein Weilchen dauern, bis wir uns aneinander gewöhnt haben. Ein paar Monate, vielleicht ein Jahr. Die eine oder andere Kleinigkeit ist sicher zu reparieren, aber im Großen und Ganzen hat sich die Katze für ihr Alter erstaunlich gut gehalten.
Vielleicht war die Idee ja doch nicht so bekloppt…
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toll und demnächst zwei Kätzchen in unmittelbarer Nachbarschaft (Misburg-Nord)
Lieber Johannes,
viel Spass mit Deinem Jaguar!! Ich habe unter anderem auch einen X351 5.0 Portfolio aus 2010 – irgendetwas muss ich aber wohl falsch machen.
Ich für meinen Teil fahre nämlich mit meinem bösen bösen 530D am liebsten. Der hat inzwischen über 273.000km auf der Uhr und offenbar bin ich mit Ihm wie verwachsen ;-).
Gruß, Dirk
Ich denke, SOOOOO bekloppt – wie ich waren Sie nicht 🙂 Und ‚Hand auf’s Herz‘ ich denke, die Katze schnurrt immer noch mit Ihnen. Ein wirklich, wirklich schönes Exemplar.
Meiner war der X300 / ‚1998‘ ebenfalls grün, hellbeige leider und Holz und ebenfalls ein treuer Kamerad. Dann veränderten sich meine Lebensumstände – und ich ließ mich unter (Zeit) Druck setzen – und verkaufte meine Katze für 1.500,–€ 🙁
WIE BEKLOPPT KANN MAN/N SEIN !
Ich bereue das sehr, sehr.
Nun bin ich wieder auf der Suche, diesmal vllt. nicht br-green, sondern braun.
Danke für Ihre Hommage,
Martin Benjamin Kreiten